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Matthias R. Entreß,
Musikjournalist, Autor, schrieb folgende Rezension:

Ute Neumerkels Gesamteinspielung der Furtwängler-Lieder

Wilhelm Furtwängler (1886-1954) wurde in einer Zeit geboren, in der die heiligen Werte der Kultur zu wackeln begannen, jedoch noch nicht ahnen ließen, in welche Richtung sie fallen würden. Wagner, Liszt und Bruckner hatten die Tonalität bereits zum Bersten mit Gefühlsintensität aufgeladen, aber Schönberg und die Zweite Wiener Schule hatten die letzten Konsequenzen daraus noch nicht gezogen. Furtwängler, der als Dirigent ein bedeutender Förderer der Moderne war und als Komponist im Erwachsenenalter Gefühlsdichte im Ausdruck mit Modernität im Klang zu verbinden trachtete, damit aber nicht die erhoffte Anerkennung gewinnen konnte, war als komponierendes Wunderkind noch in seiner Mitte. Aus dieser glücklichen Frühzeit seines Schaffens stammen seine sämtlichen Klavierlieder, die jetzt erstmals komplett in einer überraschend frischen Interpretation von Ute Neumerkel auf CD erschienen sind.

Die eher skeptische Erwartungshaltung kann kaum in krasserem Gegensatz zum mehr als nur interessanten Resultat stehen. Der junge Furtwängler beherrscht die zeitgenössischen Stilmittel nicht nur perfekt, ihr Einsatz wirkt frei und wie neu erfunden. Lyrik von Goethe über Chamisso, Uhland bis hin zum Zeitgenossen Paul Heyse ist für Furtwängler eine freudige Herausforderung, der er mit immer wacher melodischer und modulatorischer Phantasie, sowohl in der oft frei schwebenden Gesangsstimme, wie auch in der farbigen Klavierbegleitung begegnet. Den Maßstab des romantischen Kunstliedes, Brahms, unterbietet er nie, sondern erzielt mitunter Wirkungen, die an chromatischer Sensibilität den Impressionismus Debussys vorausahnen lassen, wie ergreifend innerlich in "Auf dem See" von 1900, nach Goethe.
Auffallend ist die Selbständigkeit der Klavierstimme, die durchweg ein echter Dialogpartner wird.
Eine besondere Herausforderung an die Sänger ist der oft große Tonumfang, musikalisch immer durch die imaginierte Wirkung gerechtfertigt, der sie in der komplizierten (und überaus reizvollen!) Melodieführung zu häufigen und teilweise extremen Registerwechseln zwingt.

Die Sängerin Ute Neumerkel ist nicht nur mutig genug, mit diesem anspruchsvollen Projekt auf dem CD-Markt zu debütieren, sondern dabei auch ihre besondere Spezialität vorzustellen, sich selber auf dem Klavier zu begleiten. Neumerkel hat mit dieser intimen Aufführungspraxis Liedern von Schubert, Beethoven und Brahms zu einer organischen Natürlichkeit und anrührenden Intensität des Ausdrucks verholfen, die im normalen extrovertierten Liedervortrag gewöhnlich unbekannt bleiben. In ihrem Gesang ist das Vibrato variantenreich und sparsam eingesetzt, ein echtes Gestaltungsmittel, das sich aus dem natürlichen Fluß der Melodie ergibt und hier auch den Schönheiten einer präzisen und gefühlvollen Intonation ein Recht einräumt. Besonders in der ausgesprochen fraulichen Mittellage spricht ihr Gesang zum Herzen, und daß sie dabei dem nuancenreichen Klavierpart die gleiche Aufmerksamkeit widmen kann, grenzt an ein Wunder. So ist es für die Musik des jungen Furtwängler ein besonderes Glück, von ihren sorgenden Händen und ihrer einfühlsamen Stimme an die Öffentlichkeit gehoben zu werden.

Wichtig bei einer so bedeutsamen Erstveröffentlichung: Das Booklet zur CD enthält neben Basisinformationen und allen Gesangstexten Ute Neumerkels eigene kenntnisreiche Einführung in Furtwänglers Liedschaffen.

Furtwänglers frühe Lieder, viel mehr als eine kuriose Ergänzung auf einer Titelliste.